Pinguicula - allgemeine Beschreibung

Begonnen von Limo, 02. Oktober 2006, 14:10:26

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Limo

Pinguicula, das Fettkraut

Familie: Lentibulariaceae


Von dieser Gattung sind 48 Arten bekannt. Überwiegend auf der nördlichen Halbkugel, wo sie in arktischen, gemäßigten und tropischen Regionen vorkommen, überqueren drei Arten den Äquator in Südamerika. Alle bevorzugen feuchte bis sehr nasse Böden, wenn auch nicht immer in Form von sauren, sumpfigen Standorten; es gibt sogar einige Arten, die unter ausgesprochen alkalischen Bedingungen auf Kalkstein zu finden sind. Keine der Arten tritt an Stellen auf, die durch extremen Mineralstoffmangel gekennzeichnet sind, und nicht wenige Arten scheinen ebenso gut mit wie ohne tierische Nahrung zu gedeihen.

Alle Fettkräuter mit ihrem faserigen Wurzelwerk sind ausdauernd. Im Sommer entwickelt die Mehrzahl flache Rosetten stumpf-länglicher oder elliptischer Blätter, deren Ränder aufgeworfen oder bis zu einem gewissen Grad auch stärker aufgebogen oder gerollt sind. Sie sind hell- oder gelblich-grün und es geht ein schwacher Pilzgeruch von ihnen aus. Die Blätter fühlen sich klebrig-fettig an. Das kommt von den hellklaren Schleimtropfen, welche die zahlreich über die Oberfläche verteilten Steildrüsen ausscheiden. Diese sind so winzig, dass man sie mit bloßem Auge fast nicht erkennt. Im Sonnenlicht aber strahlen und glitzern die zahllosen Kügelchen und geben den Blättern einen prächtigen Schimmer.

Während der Sommerzeit leben sämtliche Arten karnivor, d.h. ernähren sich mehr oder weniger zusätzlich von gefangenen Tieren. In der übrigen Zeit des Jahres ist dies durchaus nicht immer so. Einige Arten produzieren im Herbst oder Winter Rosetten von kleineren und oft rundlicheren Blättern, die unter Umständen weder klebrig sind noch eine karnivore Funktion haben, während andere absterben und kompakte Winterknospen bilden.

Die hübschen Blüten erinnern bei den Arten mit engem Schlund an große und lang gespornte Veilchen, bei den Arten mit weitem Schlund an kleine Gloxinien. Sie erscheinen einzeln an blattlosen runden Stengeln, die ebenso wie die Blätter reich mit Drüsen besetzt sind. Die Farben der häufig geaderten Blüten sind Weiß, Rosa, Purpur, Lavendel, Violett und sogar Gelb. Die zweilippige Krone besteht aus fünf Abschnitten, an ihrem Grund verschmolzen zu einer Röhre, die nach hinten in einen mehr oder weniger langen pfriemlichen Sporn ausgezogen ist. Im unteren Teil der Blütenöffnung, gebildet von der Unterlippe, befindet sich bei manchen Arten eine aufgewölbte Struktur, die so genannte Maske. Diese ist haarig und zwar ganz besonders bei einigen Arten Nordamerikas ? deswegen dort bärtig genannt ? bei denen sie deutlich aus dem Schlund der Krone aufragt.

Den karnivoren Charakter des Fettkrauts hatte niemand vermutet, bis Charles Darwin von W. Marshall hörte, dass dieser im Lake District der Cumbrian Mountains im Norden Englands an den Blättern von Pinguicula vulgaris festklebende Insekten beobachtet hatte. Darwin stellte daraufhin Experimente an und konnte erstmals feststellen, dass die Blattränder dieser Pflanze zu Eigenbewegungen fähig sind. Außerdem gelang es ihm bald zu beweisen, dass die Blätter die Körper der gefangenen Opfer auflösen und die freigesetzten Nährstoffe resorbieren.

Zwei verschiedene Arten von Drüsen treten auf der Blattoberfläche auf. Die primäre Aufgabe der klebrigen Stieldrüsen ist es, die Beute zu fangen und festzuhalten. Man hat aber zwischenzeitlich herausgefunden, dass sie daneben auch noch eine gewisse, wenn auch sehr geringe Rolle bei der Zersetzung der Tierleichen spielen. Der Drüsenstiel ist farblos, fast durchsichtig; oberhalb der Basis ist er ein wenig verdickt, verjüngt sich aber zur Spitze hin, welche die eigentliche Drüse trägt. Die Drüse selbst ist pillenförmig mit ebenem Boden, gerundeten Seiten und einer flach gewölbten Oberseite. Der ausgeschiedene kugelige Schleimtropfen wird von der Oberfläche und den Seiten des Drüsenkopfes gehalten.

Der andere Drüsentyp ist stiellos, deshalb spricht man auch von sitzenden (sessilen) Drüsen. Diese sezernieren nicht ständig wie die Stieldrüsen, sondern nur wenn sie in Aktion sind, ansonsten bleiben sie "trocken". In der Form sind sie den Stieldrüsen ähnlich, jedoch nur ein Viertel so groß. Sie sitzen etwas eingesenkt, so dass die Drüsenkuppe bündig mit der Oberfläche abschließt. Dadurch sind sie auch in der Vergrößerung nur dann einigermaßen zu sehen, wenn man sie bei einer ausgeklügelten Seitenbeleuchtung betrachtet. Diese winzigen Drüsen sind erheblich zahlreicher als die vom größeren Typ. In erster Linie sind sie es, die für die Verdauung der Beute und für die Resorbtion der gelösten Nährstoffe sorgen.


Fangen der Beute

Es ist noch nicht ganz geklärt, ob von den Blättern eine spezielle, Tiere anlockende Wirkung ausgeht. Sie sind nicht mit Nektardrüsen ausgestattet und ob der leichte Pilzgeruch einen Reiz auf Insekten ausübt, ist eine noch offene Frage. Fest steht auf jeden Fall, dass sie für ihren Bedarf eine ausreichende Zahl von Insekten und anderen Kleintieren fangen. Darunter befinden sich mückengroße Fliegen, geflügelte Blattläuse, Springschwänze, winzige Kriechinsekten und dergleichen mehr, oft in großen Mengen. Nur selten findet man Opfer von der Größe einer Stubenfliege. Die Kleinheit der Beutetiere wird aber durch die große Zahl mit Sicherheit ausgeglichen.

Die Bewegungen des Insekts, das auf dem Blatt gelandet ist und wieder zu entkommen sucht, werden durch die schleimabsondernden Stieldrüsen auf der Stelle eingeschränkt und alle Befreiungsversuche führen nur dazu, dass es mit weiteren Drüsen im Berührung kommt. Mehr noch, durch die Gegenwart eines Beutetieres wird die Sekretproduktion um so mehr stimuliert, so dass es nicht lange dauert, bis das Opfer überwältigt und schließlich erstickt ist.


Verdauung

Das bei Berührung mit der Beute von den Stieldrüsen frisch produzierte Sekret unterscheidet sich von den sonst ständig vorhandenen Schleimtropfen dadurch, dass es schwach sauer ist. Dies ist von einiger Bedeutung, denn bei einem normalen Verdauungsvorgang ist die Anwesenheit von Säure notwendig. Dieses Sekret enthält außerdem noch einige Enzyme. Die wesentliche Enzymausschüttung kommt jedoch von den sitzenden Drüsen, den Verdauungsdrüsen, die unmittelbar nach dem fang des Beutetieres aktiv werden. Ihre Sekretionstätigkeit hält solange an, bis das Opfer geradezu in einen See von Verdauungsflüssigkeit getaucht ist. Die gemeinsame Wirkung von Säuren und Enzymen führt zu einem raschen Abbau und zur Auflösung der weichen Teile des Insekts. Die auf diese Weise mit Nährstoffen angereicherte Flüssigkeit wird von denselben Drüsen resorbiert und in die Pflanze hineintransportiert. An dem Verdauungsprozess beteiligte Enzyme sind, soweit bekannt, Ribonuklease, Esterase, saure Phosphatase, Amylase und Protease.

Bakterien scheinen bei der Zersetzung nur eine geringe Rolle zu spielen. Das ausgeschiedene Sekret wirkt sogar leicht bakterizid. Eine nennenswerte Bakterienaktivität wäre bei der zarten und empfindlichen Außenhaut des Blattes auch gar nicht sinnvoll. Wenn man zu Beispiel ein sehr viel größeres Insekt, als es normalerweise vom Fettkraut erbeutet wird, auf die Mitte eines Blattes legt, so kann der Verdauungssaft den Körper des großen Tieres nicht ausreichend umfließen, dass auch dessen oberste Partien vollständig durchdrungen und aufgelöst werden können. Die natürliche Folge ist, dass sich dort Bakterien ansiedeln und den ganzen Körper des Tieres bis hinunter zur Blattoberfläche durchsetzen. Und dies führt, wie das kleine Experiment und viele Beobachtungen beweisen, zum Absterben des Blattbereichs direkt unter dem toten Insekt und darum herum. Nicht selten ist in solchen Fällen ein noch größeres Feld betroffen und zuweilen geht sogar das ganze Blatt zugrunde.


Bewegungen des Blattes

Die überwiegende Mehrheit der Fettkraut-Arten besitzt die Fähigkeit, mit ihren Blättern Eigenbewegungen auszuführen. Diese Fähigkeit zeigt sich einmal darin, dass die Blattränder im betreffenden Bereich über fixierte Beute gerollt werden, zum anderen darin, dass die Stellen des Blattes, auf denen das Opfer liegt, sich schüsselartig eindellen können. Diese beiden Reaktionen des Blattes lassen sich besonders gut beobachten, wenn ein etwas größeres Beutetier gefangen wurde, während sie bei kleineren Insekten auch völlig ausbleiben können. Der Nutzen ? falls überhaupt vorhanden ? dieser offensichtlich durch Beutekontakt ausgelösten Verformungen des Blattes ist viel diskutiert worden. Da das Umbiegen des Blattrandes recht langsam vor sich geht ? selten dauert es weniger als zwei Tage ? kann diese Bewegung im Gegensatz zu dem häufig verbreiteten Trugschluss keinesfalls mit einem Fangmechanismus verwechselt werden. Gewiß, beide Formveränderungen tragen zu einer raschen Zersetzung bei: In der schüsselartigen Vertiefung der Stelle im Blatt, an der das Beutetier liegt, sammelt sich das Verdauungssekret zu einem kleinen Teich, in dem das Opfer viel besser von der Flüssigkeit erfasst und durchtränkt werden kann als auf einer ebenen Fläche. Das Einrollen des Blattrandes über ein Insekt bringt natürlich einen viel größeren Bereich des Insektenkörpers mit den Drüsen in Berührung. Aber kann eine gesteigerte Zersetzungsgeschwindigkeit denn von irgendeinem Vorteil für die Pflanze sein? Das ist in der Tat nicht notwendig, denn es besteht ja immer die Möglichkeit, dass die kostbare Nahrung noch vor oder während des Abbauprozesses verloren geht und zwar hauptsächlich durch Regen, der die Beute oder die schon heraus gelösten Nährstoffe vom Blatt herunter waschen kann, besonders wenn es anhaltend stark regnet.

Deshalb ist es biologisch nur zweckmäßig, wenn die Pflanze die Zersetzung ihrer Beute so schnell wie möglich erledigt und zwar gilt das besonders in Gebieten mit hohen Niederschlägen, wo viele Arten des Fettkrauts vorkommen. Bei den Arten, die in diesen Regionen zu Hause sind, ist ein fast ständig aufgebogener oder leicht eingerollter Blattrand geradezu typisch. Auch das Vermögen, die Beute einzurollen, ist dort besonders ausgeprägt. Ein guter Nutzen der aufgebogenen und schließlich eingerollten Blattränder ist darin zu sehen, dass die gefangenen Tiere nicht so leicht herunter gewaschen werden und dann eben auch überdeckt und vor Regen geschützt sind. Es besteht kein Zweifel, dass der Vorteil des Tierfangs und entsprechender Ernährung ohne diese Sicherheitsvorkehrungen in den Gebieten mit häufigen Regenfällen für das Fettkraut längst nicht so groß wäre.

Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg!